Es ist immer wieder erstaunlich, dass ein Bildungskonzept zum einen für gut befunden wird, wie hier z.B. das Medienkonzept zur Einführung von Notebooks in Grundschulen, und zum anderen eines abgelehnt wird, wie z.B. das Konzept der freichristlichen Gemeinde. (2) Schlüssige Begründungen waren nicht zu hören.
Endloskataloge von Kompetenzen
Somit war es auch kein Wunder, dass der zum Cloppenburger Schulausschuss geladene Experte für Medienkompetenz in seiner Powerpoint-Präsentation einen Spruch nach dem anderen auf der Leinwand abspulten konnte, ohne dass der fragwürdige Ansatz der Präsentation kritisch gesehen wurde. Vortragendes Ablesen schien seinem schweigenden Publikum das Unverständliche nur noch einzuhämmern zu wollen. Hierbei ging es um fragwürdige Inhalte, die einer Erklärung bedurften. Doch die fiel unter den Tisch. Auch deshalb, weil keine Fragen gestellt wurden. Ganz im Gegenteil: Es kam sogar der Hinweis, dass das Konzept für gut gehalten werde. Eine Begründung gab es hierzu nicht.
Es sind die mit Binsenweisheiten gespickten Endloskataloge von Kompetenzen, die die Medienkompetenz der Grundschüler gewährleisten sollen. Verkannt wird, dass die Vielschichtigkeit der gepriesenen Kompetenzgefüge natürliche Zusammenhänge zerstückelt. Das Gesamtverständnis bleibt außen vor. Kompetenzerwerb führt keinesfalls zu einem Verständnis über einen komplexen Sachverhalt. Der Gesamtzusammenhang, das Fachwissen selbst, ist nicht gewährleistet.
In der kompetenzorientierten Bildung spielt es somit keine Rolle, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Es werden begrenzte Fähigkeiten erworben, die sich in eher einseitigen Denkmustern niederschlagen. Das Gefühl, ständig alternativlosen Zwängen ausgesetzt zu sein, wäre eine Folge dieser Denkmuster. Das Ziel der Bildung, den Einzelnen hin zur Mündigkeit und zur Selbstbestimmtheit zu führen, ist nicht garantiert.(3) Ohne Alternative bleibt der Mensch gefangen in einer sehr begrenzt erlebten Welt, die im Konfliktfall den psychischen Ausweg des Burnouts sehr wahrscheinlich macht. Fakt ist, dass der wachsende Schulstress in Grundschulen seit geraumer Zeit dramatische Auswirkungen zeigt.(4)
Paradigmenwechsel: Computer ersetzt Handschrift
Bei der Diskussion um die Einführung von Notebooks an Grundschulen hätten Cloppenburger Schulausschussmitgliedern z. B. einbeziehen müssen, dass Eliten des Bildungswesens eine rege Diskussion darüber führen, ob das Erlernen der Handschrift in der ersten Klasse überhaupt noch nötig sei. Ob es vielmehr besser sei, den Kindern nach finnischem Vorbild nur den Umgang mit dem Keyboard beizubringen, um eine Textdatei auf einem Computer erzeugen zu können. Eine Kompetenz also, bei der sich am Ende die Ausdrucksfähigkeit ausschließlich auf ein digitales Medium mit Input-Charakter beschränkt. (5) Mit der Einführung von Notebooks in Cloppenburger Schulen kann dieses Ziel der Beschränkung zumindest in Grundsätzen bedient werden. Ein Teil der Persönlichkeitsentwicklung käme erst gar nicht zum Zuge.
Gesprochen wurde auch nicht darüber, dass sich in Deutschland die bewährte qualitätsorientierte Bildung ohne demokratische Legitimation in eine kompetenzorientierte gewandelt hat. Ist der Paradigmenwechsel weg vom humboldtschen Bildungsideal hin zum Glauben an die Überlegenheit einer kompetenzorientierten Bildung bereits vergessen? (6)
Nivellierung fachlicher Ansprüche
Nun soll das hochproblematische Lernen vor dem Hintergrund der Kompetenzorientierung verstärkt in der Grundschule stattfinden. Somit wird es nach einer gewissen Zeit keinen nennenswerten Widerstand mehr geben, die handschriftlichen Fähigkeiten in diejenige Kompetenz zu überführen, um ein Computerkeyboard bedienen zu können. Eine Kompetenz, die die individuelle Handschrift ein für alle Mal überflüssig macht. Dass hierdurch die individuelle Ausdrucks- und Kommunikationsqualität -also ein Teil einer Persönlichkeit- verloren geht, ist verheerend.
Und jeder kann sich denken, wie es weitergehen soll: Anstelle einer fachlichen Klarheit wird es um die Orientierung an Methoden, um das Ausfüllen von Arbeitsblättern oder Exeltabellen gehen. Eine Kompetenz, die ein Verstehen nicht unbedingt erfordert. Hierbei geht es weniger um Inhalte als vielmehr um Fähigkeiten, um die Nivellierung fachlicher Ansprüche. Inhalte bleiben zweitrangig. (7) Dass Computer dann irgendwann die Lehrer ersetzen, versteht sich von selbst. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Kinder der Grundschulen ihren „Lehrer“ demnächst mit „Hey Siri“, „Okay Google, „Hey Cortana“ oder einfach nur mit „Alexa“ begrüßen werden.
Der Mensch wird zur Maschine
Die Abschaffung der sozial-kommunikativen Standards schreitet voran. Der Mensch wird mit Hilfe der Maschine (Computer) selbst zur Maschine und verliert die Fähigkeit, Konflikte selbstdenkend zu lösen. Eine gar nicht so abstruse Vision, die zudem erklären kann, warum es aufgrund eines stark reduzierten Reflexionsvermögens immer mehr Waffen und Kriegsgerät bedarf, um Drohkulissen aufzubauen. Dass eine solche Situation im Desaster enden kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Die „Maschinengläubigkeit“ färbt ab. Sie verändert Verhaltensmuster, indem soziale und emotionale Werte für nicht wenige Kinder und Jugendliche immer bedeutungsloser werden. Durch die vermehrte Beschäftigung mit Computern (Smartphone, Notebook oder Nintendo) schwindet die gesellschaftliche Fähigkeit, Konflikte in Form unmittelbarer Kommunikation mit Argumenten beizulegen. (8)
Das Lernen darf sich keineswegs nur auf Anwendung oder auf Problemlösen beschränken. Lernen beinhaltet vor allem, den Sinn und Bedeutung einer Lösung zu erfassen. Somit sind insgesamt (!) Sachverstand, Urteilsfähigkeit, Mündigkeit und kommunikatives Miteinander gefragt. Das geformte Lernen, die Bildung, garantiert Nachhaltigkeit und kann nicht nur nicht auf formale Fähigkeiten und Anwendungsorientierungen, die auch Maschinen erfüllen, begrenzt werden.
Und nun soll noch jemand behaupten, Kompetenzorientierung sei dasselbe wie Bildung. Er läge völlig daneben. Soweit zur Vorstellung des Medienkonzepts.
Bildungsideal Qualifikation
Zuletzt waren es auch die Vertreter der CDU-Fraktion, die zentrale Forderungen zur effizienteren Ausbildung, z.B. im Handwerk des Oldenburger Münsterlands, überhaupt nicht zu kennen schienen. Versucht doch das Handwerk des Oldenburger Münsterlands seit Jahren vergeblich darauf hinzuweisen, dass nur Qualifikation eine nachhaltige Bildungsgrundlage darstelle. (9)
Die Kompetenzorientierung dagegen bringe nicht den Erfolg, um dem Handwerk den nötigen Nachwuchs zu sichern. Handwerk und Unternehmen wissen ein Lied darüber zu singen, welche geringqualifizierten Bewerber sie jedes Jahr erwartet. Somit beklagt das Handwerk Jahr um Jahr den angeblich wachsenden Fachkräftemangel, ohne jemals ernst genommen zu werden. (10)
Herausforderung in der Grundschule kritisch begegnen
Wenn es um die Frage geht, Notebooks in der Grundschule einzuführen, dann sollte man diesem Ansinnen keine Steine in den Weg legen. Die Einführung der Notebooks aber mit einem fragwürdigen Konzept zu begründen, welches zudem nicht einmal kritisch hinterfragt wird, ist entwürdigend. Sinnvoller wäre es, die Digitalisierung als enorme Herausforderung der heutigen Zeit zu sehen, die zu einem kritischen Umgang mit den digitalen Medien auffordert. Warum soll dieser Herausforderung nicht schon in der Grundschule begegnet werden?
_______________________________
Quellen:
1. Münsterländische Tageszeitung, 16.11.2017.
2. Nordwest-Zeitung, 16.03.2017.
3. vgl. Krautz, Jochen, Kompetenzen machen unmündig, in: Wernicke, Jens/Bultmann, Torsten (Hrsg.): Die wissenschaftliche Konstruktion sozialer Ungleichheit. BdWi-Studienheft 10. Marburg 2015
4. Thüringische Landeszeitung, 22.11.2012
5. WDR, Die Handschrift ist Teil unserer Persönlichkeit, 23.01.2017.
6. vgl. Lieb, Wolfgang; Humboldts Begräbnis, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 6/2009 Seite 89-96.
7. vgl. Liessmann, Konrad Paul; Bildung als Provokation, Paul-Zsolnay-Verlag; Auflage: 3 (25. September 2017)
8. Wilkens, Andreas; Psychologe sieht große Gefahren durch gewaltverherrlichende Spiele, heise.online, 2008.
9. Deutschlandfunk Kultur, 26.11.2017.
10. Handwerkskammer Rheinhessen, Befragung von Fachkräftesicherung im Handwerk, 2017.
_____________________________________________________________
|