slogan_bot-b
Leiste-H-01

 

_________________________________

Bürgermeister trifft Gäste trifft Politbrei

 

Neujahrsempfang 2024 im Cloppenburger Rathaus

 

Realität weicht utopisch heiler Welt

HFB 24-01-20

____________________________________________

 

Zum diesjährigen Neujahrsempfang durften Bürgermeister Neidhard Varnhorn (CDU) und seine drei Stellvertreter (CDU) mehr als 200 geladene Gäste begrüßen. Die Veranstaltung erwies sich im wahrsten Sinne des Wortes als gut durchorchestriert und programmatisch gehaltvoll. Das vor allem aufgrund des Hauptteils der Veranstaltung durch die äußerst wissenschaftlich aufschlussreiche Festrede des Professors Dr. Nick Lin-Hi von der Universität Vechta. Und wie immer konnten die Zuhörer viel lokalpolitisches Selbstlob hören. Vom Cloppenburger Bürgermeister höchstpersönlich. Eine um Jahre verspätete, aber angemessene Ehrung bildete den Abschluss des ersten Teils der Veranstaltung. Geehrt wurde Mechtild Brinkmann, eine Initiatorin des Sozialdienstes katholischer Frauen e.V. (SKF). Anschließend wurde zum Teil 2 übergeleitet. Alle Gäste waren zu einem schmackhaften Imbiss mit eine großen Getränkeauswahl im Foyer der Stadthalle geladen. „Musikalisch begleitet [wurde] der Empfang durch die Big Band „Jazz Selection“ mit jungen Musiker*innen aus dem Landkreis Cloppenburg.“

 

Für Musikbeiträge, Reden, Ehrungen und Festvortrag gab es dann auch viel Applaus. Kritische Anmerkungen zu aktuellen Weltlage hat es zwar ansatzweise gegeben, doch von Selbstkritik auf lokaler Ebene war nichts zu hören. Wenn man den Wortbeiträgen und vor allem der lokalen Berichterstattung dennoch Glauben schenken mochte, so ist die Welt in Cloppenburg und nahe drum herum, anscheinend noch vollkommen Ordnung. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Prof. Dr. Nick Lin-His Vortrag samt seiner bedrohlichen Brisanz vollkommen unter den Teppich gekehrt wurde.

Im Folgenden soll es daher um kritische Anmerkungen gehen, um besonders das anzusprechen, worüber die Öffentlichkeit nicht ausgewogen unterrichtet wurde (01) Denn der vordergründige Erfolg des Events bestand darin, in der Wohlfühlatmosphäre des Abends (fast) alle geladene Gäste nachhaltig stimuliert zu haben.

 

Varhorns präutopische Sichtweise

Wie im vergangenen Jahr auch begeisterte der Bürgermeister seine Zuhörer in seiner Rede mit einer prallgefüllten Marge von Beschlüssen, die weniger vollendete Taten als vielmehr politische Absichtserklärungen darstellen. Angereichert mit den z.T. abgedroschenen Stilelementen Klima- und Umweltschutz, Wärmeplanung, Dekarbonisierung, Stadtbus, Mobilität, Verkehrswende, Münsterlandhalle, Soestebad, Kläranlage, Bauhof, Rathausmodernisierung, technisches Hilfswerk, Feuerwehr, Ehrenamt etc., worüber in der Lokalpresse immer mal wieder zu lesen war.

Die Botschaft lautet demnach: Alles ist gut, ist auf einem guten Weg und wird gut. Die Kirchhofstraße ließ m Folgenden mal wieder grüßen. (02) Nichts über Menschen in Cloppenburg, denen nach Abzug von Miet- und Energiekosten pro Monat nur noch 300 bis 400 Euro zu Leben bleiben; nichts über die immer länger werdenden Schlangen vor der Cloppenburger Tafel; (03) nichts über die vielen Einzelhandelsläden, die sich nunmehr aufgrund mangelnder Umsätze in eine schlimme Schieflage befinden; (04) nichts über die überfüllten Klassenzimmer der Grundschulen u.a. in Cloppenburg, die den Bildungsauftrag zur Farce werden lassen; (05) nichts darüber, dass die Lokalpolitik die meisten Menschen aus den 102 Nationen, die in Cloppenburg leben, bereits verloren hat, auch nichts über den Bauernprotest auf dem Marktplatz, bei dem Cloppenburgs Bürgermeister Varnhorn und die gesamte Ratspolitik nicht zu sehen waren. (06) Diese Auflistung könnte beliebig fortgesetzt werden. Stattdessen aber werden –wie bei solchen Empfängen üblich - die gängigen Stereotypen immer und immer wieder durch die Mühlen der politischen Semantik gedreht.

So sind beispielsweise nur der Dauerregen und sonstige Wettererscheinungen erwähnenswert, die dann gradlinig auf den Klimawandel und das damit einhergehende Klimaschutzprojekt der Stadt Cloppenburg abzielen. Dabei sind doch Wetter und Klima etwas Grundverschiedenes. Applaus für eine Lokalpolitik, die das Klima für die ganze Welt verbessern will, obwohl sie nur knapp 5-Millionstel Prozent der Weltbevölkerung vertritt und der Rest der Welt nun vorwiegend auf fossile Energieträger setzt (07) Wann genau der klimatische Idealzustand des „schönen neuen Cloppenburgs“ bei weiterhin beständigen Luftmassenverschiebungen aus fernen Ländern erreicht wird, darüber war in Varnhorns präutopischer Sichtweise nichts zu hören. Wohlwissend, dass Politik ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gebraucht würde, wenn eben diese politisch essenziellen Absichtserklärungen in Dauerschleife zum Erliegen kämen.

 

Cloppenburger Stadtratswahl wird überflüssig

Im gleichen Atemzug betonte Varnhorn – wie bei jedem Neujahrsempfang - die außerordentlich gute Zusammenarbeit zwischen ihm und den Ratsmitgliedern der verschiedenen Parteien, Wählergemeinschaften und Einzelkämpfern des Cloppenburger Rates. Man versteht sich also bestens. Toll! Applaus! Die implizierte Anregung war aber unverkennbar: Demzufolge könnten alle z. Zt. aktiven Parteien und Wählergemeinschaften des Cloppenburger Stadtrates die kritische Distanz der vergangenen Jahre beerdigen und sich zur nächsten Kommunalwahl zu einer einzigen Liste des harmonischen Miteinanders zusammenschließen. Auf diese Weise wäre die vom Cloppenburger Bürgermeister proklamierte Einigkeit auf lokalpolitischer Ebene auch formell erfüllt. Diese neu-politische Kreation würde zugleich ein klares, aber verbogenes Wahlgeschenk an alle Cloppenburger Wahlbürger darstellen.

Denn von nun an hätten zermürbende Wahlentscheidungen der oft schlaflosen Bürger ausgedient. Der CDU-Bürgermeister bliebe CDU-Bürgermeister ohne Konkurrenz und ein teurer Wahlkampf der Parteien, Wählergemeinschaften und Einzelkämpfer mit zu vielen Bewerbern, wäre überflüssig. Aufgrund dieser transformatorischen Einheit würden die z.T. überforderten Protagonisten viel Geld sparen. Weil anschließend das absolute Wahlergebnis nicht zählen darf, kann es nunmehr ein einmaliges werden: Relative 100 Prozentpunkte, welche gewohntermaßen alle Nichtwähler unter den Tisch kehrt! Und wenn der Bürgermeister nach dem Prinzip „Einer für Alle“ als einziger Wähler nur für sich und das Bündnis des harmonischen Miteinanders votieren würde, bliebe das relative Ergebnis unverändert bei 100 Prozentpunkten. Toll? Applaus?

Ist denn nicht klar, dass das unwidersprochene Statement des CDU-Bürgermeisters allen Parteien und Wählergemeinschaften –außer der CDU - letztendlich schadet? Wie will man denn so viel „politischer Wohlfühlatmosphäre“ bei der nächsten Kommunalwahl begründen, warum es einen Gegenkandidaten zum CDU-Bürgermeister braucht? Wie will man den Wählern plötzlich wieder klarmachen, dass Cloppenburg oppositionelle Parteien braucht, wo doch alles lokalpolitisch so harmonisch läuft und eine einzige Liste genügen würde, um den bisher gewohnten Gang der politischen Entscheidungen ohne Dissens fortzusetzen?

 

Heimatliche Kulturpflege nach den kompositorischen Vorbildern

Zu den Highlights des Empfangs zählten die Darbietungen der Bigband Jazz Selection unter dem fein abgestimmten Dirigat von Thomas Stanko. Die jeweiligen Parts überzeugten durch hervorragende Intonationen, abgestimmte Dynamiken sowie rhythmisch präzise Strukturelemente. Die vom Dirigenten angekündigte Schlussdarbietung - eine verjazzte Humoreske auf die allzu bekannte Heimat- Hymne „Heil dir, o Oldenburg“ - (08) empfanden die Zuhörer eher fremdartig, ungewohnt, wenn nicht an manchen Stellen schief.

Die soeben erklungene Eigenkomposition Stankos enthüllte die beabsichtigte Symbolkraft in Form von Klang und Stil. Somit konnte dieses bipolare Musikwerk als eine gelungene Persiflage auf die Gewohnheiten einer ortüblichen Laienpraxis zurückgreifen. Als program-musikalische Meisterleistung zur satirischen Darstellung der heimatlichen Kulturpflege nach den kompositorischen Vorbildern Edward Griegs, (09) Modest Petrowitsch Mussorgskis (10) oder Sigfrid Karg-Elerts. (11) Mit einem überzeugenden Anteil an Authentizität. Applaus!

Wenn aber auf dem Programmzettel des Neujahrempfangs keine der dargebotenen Jazz-Einlagen mit ihren Titel aufgeführt waren, so darf das als völlig unangemessen gelten .Die professionellen Darbietungen hätten auch in Schriftform honoriert werden können. Das ist nicht passiert. Schade!

 

Nur Teamarbeit garantiert Erfolg

Wie üblich bei Neujahrsempfängen wurde auch diesmal der Silberne Löffel der Stadt Cloppenburg vergeben. Diesmal an Mechtild Brinkmann, die als eines der Gründungsmitglieder des Sozialdienstes katholischer Frauen e.V. (SKF) gilt. (12) In ihrem Ehrenamt hat Brinkmann Außerordentliches geleistet. Die Auszeichnung war mehr als verdient. Aus der Vorstandsarbeit hatte sie sich bereits vor vielen Jahren zurückgezogen. Warum nicht schon damals an eine Ehrung für ihre ehrenamtliche Tätigkeit gedacht wurde, bleibt unklar.

Für Cloppenburg gilt allerdings: Neuer Bürgermeister, neue Chancen. Somit fand erst jetzt die Brinkmanns Ehrung statt. In einem angemessenen Rahmen, der den öffentlichen Respekt vor dem Ehrenamt und die damit verbundene Wertschätzung im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Miteinanders herausstellte. Es wurde „eine Frau [geehrt], die mit ihrem großen Engagement, innovativen und mutigen sowie fundiertem Fachwissen die haupt- und ehrenamtliche Arbeit des Frauenfachverbandes in Cloppenburg geprägt, gefördert und maßgeblich weiterentwickelt (…)“ hatte. (13) 

Allerdings wurde die Aufbauarbeit des Sozialdienstes katholischer Frauen e.V. von vielen ehrenamtlichen Helferinnen begleitet. Die Binsenweisheit lautet: „Nur Teamarbeit garantiert Erfolg!“ Ohne Hilfen hätte das Projekt also nie wachsen können. Wo bleibt die Ehrung dieser ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen? Hätten nicht auch sie aufgrund ihrer unermüdlichen Hilfen in einer angemessenen Weise bedacht werden können? Müsste nicht der „Silbernen Löffel“ dem Sozialdienstes katholischer Frauen e.V. als Team übergeben werden, wobei Mechtild Brinkmann als "Grande Dame" diesen stellvertretend für alle entgegennehmen können? Wäre das nicht überzeugender, weil gerechter, gewesen? Nein! Wer auch immer es entschieden hat. Der „Silberne Löffel“ ist und bleibt eine personenbezogene Ehrung. Es sollte auch diesmal wieder nur eine Person ausgezeichnet werden. Latente Konflikte sind somit vorprogrammiert! Schade!

 

Ein Privileg des ehrenamtlichen Engagements

Bei kritischer Betrachtung bleibt noch ergänzend anzumerken, dass in Cloppenburg zwischen Ehrenamt und Ehrenamt unterschieden wird. Nämlich zwischen dem der ersten und dem der zweiten Klasse. Letztere Ehrenamtsinhaber opfern ihre Freizeit vollkommen unentgeltlich, wobei Ersteren laut Satzung eine geringe Aufwandspauschale zusteht. Doch diese wird durch eine üppige Aufwandsentschädigung noch getoppt. Zu den Privilegierten zählen u.a. die „politischen Ehrenämter“, wie die der Lokalpolitiker im Cloppenburger Regierungspalast. 

Sie nämlich besitzen das umstrittene Privileg, bis zu einer festgelegten Obergrenze über die Höhe ihrer Entschädigungen selbst entscheiden zu dürfen. Dass bei Neufestsetzung der Entschädigung immer mal wieder ein zu großer „Schluck aus der Pulle“ genommen wurde, war dann auch schnell vergessen. (14) Geregelt ist das außerordentliche Privileg in der Satzung der Stadt Cloppenburg über Aufwandsentschädigung. (15)

(15) Bei Ämterhäufungen sind somit jährliche Zahlungen von um die 10.000 Euro möglich. Ein Nachweis über den tatsächlichen Aufwand braucht nicht erbracht werden. Warum in diesem Zusammenhang unbedingt von einem Ehrenamt die Rede sein muss, erschließt sich nicht. Ob die Ehrenamtlichen zweiter Klasse im Vergleich zu den Ratsmitgliedern mehr oder weniger viel Zeit investieren, geht aus keiner Statistik hervor. Auch nicht, welchen persönlichen Aufwand sie betreiben müssen, um ihr Ehrenamt ableisten zu können. Warum also solche Unterschiede?

Ergänzend sei aber darauf hingewiesen, dass die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr ebenfalls eine Aufwandsentschädigung erhalten. Das zweifelsohne zu Recht. Eine Berufsfeuerwehr würde der Stadt Cloppenburg dagegen deutlich höhere Kosten bescheren. Dennoch auch hier: Die Tätigkeiten der Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr zum Zweck der öffentlichen Sicherheit sind ausschließlich per definitionem der ehrenamtlichen Tätigkeit, also dem Ehrenamt, zugeordnet. Doch ihre Tätigkeiten dürften weitaus mehr als das sein. Wann endlich bekommen alle diese Feuerwehr-Leute den Silbernen Löffel der Stadt Cloppenburg überreicht?

 

Nur wer mutig ist, kann die Zukunft gestalten“

Man könnte das Thema des Vortrags von Professor Dr. Nick Lin-Hi von der Universität Vechta mit dem Schwerpunkt Wirtschaft und Ethik, dem Gastredner des Cloppenburger Empfangs, auch anders formulieren. Nämlich: „Wer die Entwicklung verpennt, der wird wirtschaftlich in den Ruin getrieben.“ Und anstatt „Kuh trifft Labor trifft Algorithmus“ könnte es heißen: „Deutsche Landwirtschaft ade!“ Das nämlich war das aktuell heiße Eisen, welches von Professor Dr. Nick Lin-Hi aufgegriffen, aber nicht explizit auf die wirtschaftliche Lage in Deutschland heruntergebrochen wurde. Somit fehlte der ethische Gegenpol, auf den viele Zuhörer zu Recht mit Spannung gewartet hatten.

Dennoch gestaltete sich Lin-His Vortrag durch anschauliche, transparente und fachlich kompetente Abschnitte äußerst professionell. Das Publikum war keinesfalls überfordert. Lin-Hi animierte mahnte an, auf technische und soziale Fortschritte vorbereite zu sein. Und diese seien aufgrund einer unvorstellbar rasanten Entwicklung eher zu erwarten als es sich viele überhaupt vorstellen könnten. Die Entwicklungsschritte verliefen nunmehr exponentiell und nicht linear, wie fälschlicherweise angenommen werde. Somit sei mit Innovationen zurechnen, die aus Sicht vieler Menschen heute noch undenkbar erschienen. Das beträfe u.a. die Weiterentwicklung der „Künstlichen Intelligenz“, um z. B. das automatisierte Fahren oder Fliegen zu ermöglichen. Die Integration von menschähnlichen Robotern würde zum Standard des Familienlebens, wobei viele externe Dienstleistungen wegfielen. Doch Letztere bestünden weiterhin aus Lieferdiensten, die auch ohne Bestellung vor der Haustür stehen und klingeln würden. Die angebotsorientierte Wirtschaftsstrategie ersetze dadurch die nachfrageorientierte, wodurch sich die finanzstarken Unternehmen – wie z.B. Amazon - (noch) mehr Umsatz versprächen. Das im verschärften Sinne des Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedmann (1912-2006). Der aber setzt voraus, dass hohe Preise stets im Einklang mit einer hohen Geldmenge stehen müssen. (16)

Undenkbar wäre aus heutiger Sicht auch, dass die Lebenserwartung durch medizin-technische Maßnahmen auf 200 Jahre gesteigert werden könne. Ermöglicht durch Transplantationen, deren Organe aus dem 3D-Drucker kämen. Ergänzt – ähnlich wie bei modernen Automobilen – durch digitale Diagnosesysteme, die in Form von Mikrochips unter die menschliche Haut transplantiert seien. Bei allzu akuten gesundheitlichen Problemen könnte somit z.B. das menschliche Herz als unbrauchbar diagnostiziert werden, um es danach in einem 3D-Drucker neu zu drucken, um es anschließend anstelle eines Spenderorgans einzupflanzen.

Mit diesem letzten Hinweis leitete Festredner Prof. Dr. Nick Lin-Hi zur Nahrungsmittelproduktion der Zukunft über. Wenn ein neues menschliches Herz im 3D-Drucker erzeugt werden könne, so wäre das für die Nahrungsmittelproduktion möglich. Es bräuchte beispielweise keine extensive Landwirtschaft mehr, um ein Steak auf den Teller zu bekommen. Der 3D-Drucker sei in Zukunft das etablierte Produktionsmittel eines (fast) jeden Haushalts, (17) um dort deftige und schmackhafte Speisen zu kreieren und zu Tisch zu bringen. (18) Guten Appetit!

 

Die Fratze des gesellschaftlichen Verfalls

Soweit die die markanten Punkte, die Prof. Dr. Nick Lin-Hi in seinem zukunftsweisenden Vortrag angesprochen hat. Vielen Zuhörern kamen die Zukunftsszenarien Lin-His zu utopisch vor. Ihr Applaus zu manchen Aussagen des Gastredners vielen dann auch eher verhaltener aus. Lin-Hi hatte dennoch den Nerv seines Publikums getroffen, gerade weil Betroffenheit zu spüren war. Denn der Fortschritt, so ist allgemein bekannt, zeigt nicht nur seine positiven Seiten, sondern oft auch die Fratze des gesellschaftlichen Verfalls und Zwiespalts, den alle besonders in diesen Tagen verspüren.

Fortschritt verändert soziale Strukturen, hat Einfluss auf die Bildung und macht vieles überflüssig. Die sinkende Produktionskapazität der Landwirtschaft wirft ihre Schatten voraus. Als Folge werden massiv Arbeitsplätze abgebaut. Der erste Einschlag dieser Art erfolgte beim Großschlachter Vion in Emstek, wodurch über 700 Arbeitsplätze betroffen sind. (19) Davon 58 Arbeitsplätze des Landkreises Cloppenburg. (20) Dass es sich hierbei um eine Vielzahl von Arbeitern aus südeuropäischen Ländern handelt, die nach Maßgabe der Agenda 2010 – initiiert durch SPD und GRÜN - (21) in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt waren, (22) sei nur am Rande erwähnt. (23) 

 

Nur wer eine Lobby hat, kann die Zukunft überstehen

Glaubt man Hin-Lis Ausführungen, wird es in Zukunft noch heftigere Einschläge dieser Art mit noch mehr Entlassungen geben. Wer nun auf eine ethische Bewertung des Professors für Wirtschaft und Ethik (sic) gewartet hatte, wurde enttäuscht. Aber man muss auch zugestehen, dass jeder, der zu sehr auf Hintergründe schaut oder Ursachen tiefergehend erforscht, leicht mit der rechten Verschwörer-Szene in Verbindung gebracht werden kann. Durch Politik und vor allem durch Medien. Mit Argumenten, die sich abenteuerlichsten Konstruktionen bedienen. Diesen Schuh wollte sich Hin-Li offenbar nicht anziehen. Das ist verständlich. Dennoch seien ergänzend einige Zusammenhänge wirtschaftlicher Entwicklung genannt, auf deren negativen Auswirkungen Lin-Hi deutlicher hätte hinweisen können:

Wenn Waren oder Dienstleistungen neu auf den Markt gebracht werden, dient das dem Ziel, Umsätze und Gewinne von Unternehmen zu maximieren. Je innovativer die Waren oder Dienstleistungen, desto höher fallen die Margen aus. Wenn nicht, dann passiert Nokia-Desaster. (24)  Dieser Effekt erweckt den Anschein einer „Unsichtbaren Hand“, die den Markt angeblich immerwährend steuert und reguliert. Die Starken verdienen sich dumm und dämlich, während die Schwachen zugrunde gehen. Steigern lässt sich dieser Effekt durch die Abschaffung von Preis- und Lohnordnungen, um den Produzenten möglichst viele Freiheiten zu gewähren.

Der Begriff „Unsichtbaren Hand“ wurde vom Wirtschaftsökonomen Adam Smith (1723-1790) ins Spiel gebracht. (25) Die „Unsichtbaren Hand“ hat Eingang in die modernen Wirtschaftswissenschaften der heutigen Zeit gefunden und erklärt ein allzu bekanntes Phänomen der „Freien Marktwirtschaft“, wobei sozial-politische Komponenten in den Hintergrund treten mussten. Ab nun galt: „Die (finanzstarken) Großen schlucken die (finanzschwachen) Kleinen.“ Heute dreht sich diese Karussell immer schneller. Somit liegt es auf der Hand, dass aktuell die Übernahme und Abschaffung des deutschen Agrarmarktes nicht nur vorbereitet wird, sondern auch schon arg fortgeschritten ist. Auf dem Rücken einer Klientel, die wohl kaum ein nennenswertes Wählerpotenzial einer links-grün-liberalen Wertegemeinschaft darstellt.

Seit Jahren wird den Bauern das Leben durch investive Verordnungen madig gemacht, nur dass nun die Ampel das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Neuwahlen werden auch nichts ändern. Wer dennoch denkt, dass sich unter einer möglichen Regierungsbeteiligung von Friedrich Merz, dem ehemaligen Aufsichtsratschef des weltweit größten und einflussreichsten Vermögensverwalters BlackRock, (26) oder Alice- Weidel, ehemalige Mitarbeiterin der weltweit führenden Investmentbank Goldman-Sachs, (27) etwas ändern würde, der ist beileibe nicht korrekt informiert. Nicht rein zufällig wird sich die Instabilität des Marktes weiter fortsetzen. Hin zu einer Umschichtung, einer Transformation, die sich an den Konzepten des Großkapitals – an solchen wie BlackRock oder Goldman Sachs - orientiert.

Nach Meinung des Marktökonomen John Maynard Keynes (1883-1946) gebe es allerdings ein Gegenmittel, um wirtschaftliche Schwächen –wie z.B. eine Rezession - durch antizyklische Ansätze wieder in den Griff zu bekommen. (28) Mit Maßnahmen, die heißen: „In guten Zeiten wird gespart, in schlechten Zeiten subventioniert“. Doch diese antizyklischen Ansätze werden heute in den Wind geschrieben. Das gilt auch für das Rathaus in Cloppenburg, welches aktuell Haushaltspläne verabschiedet, die höhere Ausgaben ausweisen als Einnahmen! Zuletzt gilt ein solch schräger Haushalt als nicht ausgeglichen. Kein Wunder also, dass über die Einführung einer Grundsteuer C nachgedacht wird. (29)

Die gegenwärtige Schieflage des deutschen Marktes wird durch hohe Verschuldung, durch die Streichung der Agrarsubventionen, durch Erhöhung der Mautgebühren und Verschärfung der CO2-Abgaben erst gar nicht mehr in den Griff zu bekommen sein. (30) Diese Maßnahmen laufen allen keynesianischen Stabilisierungskonzepten zuwider und bewirken somit genau das Gegenteil. Somit konzentriert sich die Marktmacht weiterhin auf den Kreis finanzstarker Investoren und Weltkonzerne. Auf das Großkapital, welches alles das aufsaugt, was sich ihnen in den Weg stellt. Deren Produkte finden letztendlich Eingang in den Weltmarkt als patentierte Monopole, die keinem Konkurrenten irgendeine Chance lassen, auf diesem monopolisierten, mächtigen und einflussreichen Weltmarkt überhaupt noch Fuß fassen zu können. (31) Auf diese Weise jedenfalls geht aktuell der deutsche Binnenmarkt vor die Hunde. Die Rezession ist mittlerweile allgegenwärtig. (32)

 

Neujahrsempfang trifft Gäste verkennt Realität

Events hinterlassen in der Regel einen positiven Eindruck bei denjenigen, die sie besucht haben. Das gilt besonders dann, wenn in angenehmer Atmosphäre Reden gehalten werden, musikalische Darbietungen einen unterhaltsamen Charakter haben und die kulinarischen Genüsse als besonders nachhaltig in Erinnerung bleiben. Der Neujahrsempfang in der Stadthalle hat all das geboten und an diesen äußeren Rahmen gibt es nichts zu kritisieren. Ganz im Gegenteil: Alles war gut vorbereitet und organisiert und die Stadt Cloppenburg hat sich nicht lumpen lassen. Selbstverständlich auf Steuerzahlerkosten.

Mit Letzterem ist bereits angedeutet, was der innere Rahmen des Cloppenburger Events nun hergibt. Hier wurden mehrere Reden und ein interessanter Vortrag gehalten, es gab musikalische Einlagen mit programmatischen Botschaften sowie eine durchaus verdiente Ehrung auf Grundlage eines unverrückbaren Individualkonzepts. Die Botschaften, die mit den Reden, dem Vortrag und dem Individualkonzept in angenehmer Atmosphäre einhergehen, bleiben oft unhinterfragt im Gedächtnis der Menschen zurück.

Auf dieser sehr wohl ausgefeilten Grundlage arbeitet kommerzielle Werbung. (33) Und das mit Erfolg. Der besteht darin, das Unterbewusstsein nachhaltig stimuliert zu haben. Und das in einer Wohlfühlatmosphäre, dem „Trojanischen Pferd“. Die Botschaften, die hierdurch vermittelt werden, können gute, schlechte oder auch fragwürdige sein. Während die Wohlfühlatmosphäre das Bewusstsein prägt, bleiben die Botschaften im Unterbewusstsein unhinterfragt verborgen. Diese werden nunmehr assimiliert, was letztendlich einer Akzeptanz gleichkommt. Folglich verbietet sich eine kritische Betrachtung. Der Sack ist zu, die etikettierte Schublade geschlossen und die Meinung unverrückbar. Was in dieser Lade wirklich enthalten ist, interessiert im Nachhinein die allerwenigsten.

Ab jetzt stehen nicht mehr der schwülstige Politbrei im Mittelpunkt der nachhaltigen Eindrücke, (34) sondern der Bürgermeister; nicht mehr das Gemeinsame, sondern das Individuelle; nicht mehr die gelungene und kritische Kernaussage der programmatischen Musik, sondern das ausschließlich Schöne daran . Die Realität ist der utopisch heilen Welt gewichen. Ohne kognitive Dissonanz, (35) also ohne unangenehme Gefühle und offensichtliche Widersprüche, lebt es sich eben besser. (36) Applaus!

Und wenn dann doch irgendwann die Realität anklopft und mit all ihrer Macht, Gewalt und Grausamkeit plötzlich und unerwartet zuschlägt, dann sagt sie: Ich bin die Realität und nicht vom Himmel gefallen. Ihr solltet mich zwar verachten und stets dem schönen Schein der Gegenwart ergeben sein. Dennoch: Ich war immer unter euch!

 

 

Quellen-NE-CLP

 

.