Dr. Hermann Bergmann
Initiative Bürgerbündnis Cloppenburg
Ratssitzung am 20.07.2020/ TOP 6
Cloppenburg, den 19.07.2020
Gemäß § 56 des Kommunalverfassungsgesetzes beantragte die IBC in der Ratssitzung am 20.07.20 folgenden Beschlussvorschlag:
Antrag
Im Zusammenhang mit der Liste verschiebbarer Maßnahmen im Haushalt 2020 -Coronakrise- beantragt die IBC eine Ergänzung der Satzung der Stadt Cloppenburg über Aufwandsentschädigung, Verdienstausfall sowie Fahrt- und Reisekosten der Mitglieder des Rates der Stadt und sonstiger ehrenamtlich Tätiger sowie über Zuwendungen an Fraktionen und Gruppen vom 19.09.2016 in der Fassung des 3. Änderungsbeschlusses vom 29.04.2019. Sie wird dahingehend geändert, dass die Cloppenburger Ratsmitglieder im Falle möglicher haushaltwirtschaftlicher Folgen des Corona-Lockdowns sowie als öffentliches Zeichen der Solidarität mindestens ein Kalenderjahr auf 30 % ihrer Aufwandsentschädigungen verzichten. Somit wären jährliche Einsparungen zwischen 50.000 Euro und 60.000 Euro möglich.
Begründung
Aufgrund zu erwartenden Mindereinnahmen durch den wirtschaftlichen Lockdown in der Corona-Krise wurde eine Liste verschiebbarer Maßnahmen für den Cloppenburger Haushalt besprochen und zusammengestellt. Die Zusammenstellung dieser Liste wurde ausschließlich zwischen Fraktionsvorsitzenden und Verwaltung ausgehandelt und in der Ratssitzung am 20. Juli 2020 zur Beratung vorgelegt. Nicht nur am Zustandekommen der Liste gibt es Kritik, sondern auch am Inhalt, die ein Einsparvolumen von ca. 6 Millionen Euro vorsieht. Mit dieser Liste ruft die Politik im Falle von Steuerausfällen zum drastischen Sparen auf. Doch hierbei hat sie vergessen, dass auch Politik einen solidarischen Beitrag leisten kann. Doch von letzterem ist man im Rathaus nicht so begeistert.
Zustand der Wirtschaft nach dem Lockdown
Wie bekannt, stellte der Bundestag am 25. März 2020 eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ fest. Das Bundesgesundheitsministerium konnte somit entsprechend dem am 27. März 2020 in Kraft getretenen Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite bundesweit und ohne Zustimmung des Bundesrates Anordnungen im Gesundheitswesen treffen. Neben der Schließung von Schulen, Kitas und weiteren Einrichtungen – wie z.B. die 940 Tafeln in Deutschland- folgte der Lockdown. Gewerbe, Produktion und freiwillige Hilfen brachen ein oder kamen völlig zum Erliegen. Viele Menschen erhioelten entweder keine Unterstützung mehr, z.B. durch die Tafeln, wurden in Kurzarbeit geschickt oder verloren nach kurzer Zeit ihre Arbeitsstellte. Nachdem z.B. die Tafeln wieder geöffnet waren, erfolgte ein deutlichstärkerer Andrangvon Bedürftigen als vor Corona, der auf bis zu 50 Prozent geschätzt wird. (1) Mit dem Wegfall von Lohnzahlungen waren Familien und Alleinstehende gezwungen, deutlich kürzer zu treten. Aufgrund der wirtschaftlichen Folgen des Corona-Lockdowns hat z.B. fast die Hälfte der Kassiererinnen und Kassierer den Schutz des Tarifvertrags verloren. Real wird weniger verdient als zuvor. (2) Aber auch die neuerlichen Zahlen der Kurzarbeiten könnten nach Willen der Bundesregierung weiterhin Bestand haben, wobei nun die Arbeitgeber warnen, dass bald über Entlassungen statt Kurzarbeit nachgedacht werden müsse. (3)
Nunmehr steigt sogar die Arbeitslosigkeit der Pflegekräfte. (4) Am allgemeinen Arbeitsmarkt mussten sich von knapp 21,6 Millionen Vollzeitbeschäftigten Ende 2019 knapp 4,1 Millionen Personen oder 18,8 Prozent mit einem Niedriglohn begnügen. (5) Von den allgemeinen Arbeitsbeschränkungen besonders betroffen ist das Oldenburger Münsterland. Aufgrund des extensiven Niedriglohnsektors treffen die Auswirkungen des Corona-Lockdowns diese Menschen besonders hart. Viele Geringverdiener rutschen jetzt in die Hartz-IV-Bedürftigkeit, und mit ihnen ihre Familien.Allein nach dem Oster-Wochenende sind z.B. beim Hamburger Jobcenter mehr als 2000 neue Anträge eingegangen. Inzwischen aber werden Menschen zu Hartz-IV-Empfängern, denen es vor Corona eigentlich gut ging. (6)
Ebenfalls hart getroffen sind die mittleren Einkommensschichten. Z.B. konnten Kredite für den Kauf von Autos oder für die Abbezahlung des Eigenheimes nicht mehr bedient werden.Das hat ebenfalls Folgen für die Kreditwürdigkeit der Banken in Deutschland. Diese könnte laut einer Analyse der Ratingagentur Fitch bald heruntergestuft werden. Da in sicheren Zeiten keine stabilen Geschäftsmodelle aufgebaut wurden, sind die drohenden Kreditausfälle in der Corona-Krise verheerend. (7)
Um sich über Wasser zu halten, werden Banken in naher Zukunft vermehrt über die Entlassung von Personal nachdenken müssen. Weitere Wirtschaftszweige in Deutschland werden gezwungen sein, den Abbau von Arbeitsplätzen in Erwägung zu ziehen, um eine drohende Insolvenz zu vermeiden. Am Ende wird die Aussetzung der Pflicht zur Insolvenzanmeldung nicht helfen. Die Banken müssen Corona gestundete Kredite zunächst nicht als Kreditausfall in ihren Büchern abschreiben Doch die Aufhebung der Meldepflicht bleibt ohnehin zeitlich begrenzt. Faktisch werden die drohenden Insolvenzen nicht ausgesetzt, sondern einfach in die Zukunft verschoben. (8)
Das Einkommensproblem der Arbeitnehmer*innen wird sich also noch verschärfen. Dass der Anstieg der Arbeitslosenzahlsaisonal bedingt sei (9), kann also nicht wirklich beruhigen. Viele Menschen sind aufgrund der staatlichen Lohnaufstockungen nur noch auf dem Papier in Vollbeschäftigung oder überhaupt beschäftigt. Die privat-wirtschaftlichen Folgen der Anti-Corona-Maßnahmen werden 2021 also nicht ausbleiben.
Die Verbraucher sind bereits jetzt verzweifelt. So verzeichnen die Schuldnerberatungen europaweit deutlich mehr Anfragen. Laut Experten droht bereits im kommenden Herbst eine Welle von Privatinsolvenzen. (10) Dass nun vermehrt Menschen unter Existenzängsten leiden, ist nicht verwunderlich. Depressionen, Sucht, Verhaltensstörungen. So zählen mittlerweile psychosomatische Ursachen zu den häufigsten Ursachen für Krankschreibungen im Beruf. Pro Jahr müssen 75 000 Menschen aufgrund psychischer Probleme in Vorruhestand. (11) Die Corona-Maßnahmen dürften diesen Trend verschärft haben.
Zwar versucht die Europäische Union sowie weitere Staaten die drohenden Pleiten durch ein massives Kreditprogramm zu stoppen, doch die Folgen der damit ausgewiesenen Verschuldung werden verheerend sein. Selbst der Internationale Währungsfonds spricht von einer „Krise wie noch nie“. (12) Inzwischen liegen die Schulden bei mindestens 250 Prozent vom Weltsozialprodukt. Tendenz steigend. (13) Dass diese Schulden niemals wieder zurückbezahlt werden können, liegt auf der Hand. In naher Zukunft werden Steuereinbußen und Corona-Hilfen Löcher in die Staatskassen reißen. Um diese zumindest wieder teilweise zu stopfen, fordert der Sozialverband VdK jetzt eine einmalige Vermögensabgabe. (14) Dennoch sehen einige Experten eine Jahrhundertrezession, „den schlimmsten Wirtschaftsabsturz der Neuzeit“ kommen.(15)
Haushaltspolitische Folgen für die Stadt Cloppenburg
Da sich ein massiver Einbruch der Gewerbesteuer ankündigt, werden Städte und Gemeinden ihre zukünftigen Haushalte zusammenstreichen müssen. Letztlich führen politischen Haushaltsbeschlüsse zu Kontroversen, da Begehrlichkeiten nicht lange auf sich warten lassen. Ansprüche der „guten“ Jahre, in denen unterm Strich nicht gespart wurde, indem die Politik auf üppige „freiwillige Leistungen“ nicht verzichten wollte, würden weiterhin als selbstverständlich gelten.
Nach öffentlicher Vorstellung der Streichliste am 20. Juli 2020 hat die Politik ein Glaubwürdigkeitsproblem. Ein angemessen solidarischer Beitrag der Politik ist in dieser Liste nicht zu finden. Hat es eine Veröffentlichung dieser Liste gegeben?
Mandatsträger*innen bekleiden ein unbezahltes Ehrenamt. Für mögliche Aufwendungen werden ihnen Mandatszuwendungen gezahlt, die nicht mit Arbeitslöhnen zu verwechseln sind. Das regelt eine Satzung vom 29. April 2020. Die Mandatszuswendungen sind nicht unerheblich. Dieses Cloppenburger Ehrenamt wird mit mindestens 1.500 Euro und aktuell mit maximal mit 12.500 Euro pro Person und Jahr vergütet. Wohlgemerkt für ein Ehrenamt, deren Finanzierung im Jahr 2015 um 66% erhöht wurde! Die Höhe der Vergütung wird von den betroffenen selbst beschlossen. Im Jahr 2015 hat das niedersächsische Innenministerium einen solchen Beschluss des Cloppenburger Rates einkassiert, weil er unangemessen hoch angesetzt war. (16) Damals machte sich ein Geruch von Selbstbedienung breit. (17)
Um die Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, muss Solidarität mit den hart getroffenen Bürger*innen gezeigt werden. In der besagten Streichliste sollte auch die Cloppenburger Politik zu finden sein. Konsequente Kürzungen im öffentlichen Ausgabenbereich wirken nur dann überzeugend, wenn auch die Vorbildfunktion demonstriert wird. Wenn viele Menschen unter Lohnkürzungen – einige unter totalem Jobverlust- leiden, sie nunmehr von Existenzängsten begleitet werden und zugleich öffentliche Einsparungen auf der Tagesordnung stehen, die den Menschen öffentliche Leistungen (auch in der Daseinsfürsorge) kürzen, warum sollen nicht auch Ratsmitglieder ihren Teil zur Entspannung der Lage dazutun, indem sie Vorbilder werden und zur Einsparung der öffentlichen Ausgaben beitragen? Ein überzeugender Beitrag ist die zeitlich begrenzte Verzicht auf 30 Prozent der Mandatszulagen, der als starkes Zeichen der Politik zu sehen ist und zugleich eine Einsparung der öffentlichen Ausgaben von bis zu 60.000 Euro einbringt.
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Quellen
(1) NDR, Wegen Corona: Mehr Menschen nutzen die Tafeln, 17.06.2020.
(2) Süddeutsche Zeitung, Tarifvertrag wird zur Ausnahme, 08.08.2020
(3) Frankfurter Allgemeine, Arbeitgeber warnen: Bald Entlassungen statt Kurzarbeit, 24.08.2020.
(4)WELT Online, Jetzt steigt sogar die Arbeitslosigkeit von Pflegekräften, 24.08.2020.
(5) Portal Sozialpolitik , Vollzeitbeschäftigte mit Niedriglohn in den Kreisen und kreisfreien Städten, Niedriglohnquoten 2019, 04.09.2020.
(6) Focus Online, Wegen Corona plötzlich Hartz-IV-Empfänger: "Es sind Leute, denen es eigentlich gut ging", 25.08.2020.
(7) Focus-Money Online, Doppelt so hohe Verluste wie in FinanzkriseGespenst ausfallender Kredite geht um: Deutschlands
Banken sehen dunkelrot, 17.08.2020.
(8) Finanzmarktwelt, Wie die globale Wirtschaftskrise „weg-regiert“ und „weg-gedruckt“ wird, 11.08.2020.
(9) NWZ–Online, Arbeitsmarkt im Oldenburger Münsterland, Saisonaler Anstieg der Arbeitslosenzahl, 02.09.2020.
(10) FAZ, Im Herbst droht eine Welle von Privatinsolvenzen, 10.08.2020
(11)Abendzeitung (München),Psychisch krank in den Vorruhestand Depressionen, Sucht, Verhaltensstörungen: Pro Jahr müssen 75 000 Menschen wegen der Psyche in Vorruhestand 29.01.2014.
(12) Nachrichtenspiegel, Covid-19 zündet die Lunte auf den Schuldenmärkten an, 26.08.2020.
(13) Focus Online, Gabor Steingart, Unsere Welt hat ein 250-Billionen-Dollar-Problem und die Politik redet nicht darüber, 17.06.2019.
(14) RTL, Reiche sollen Deutschland aus der Krise helfen. Corona-Pandemie: VdK fordert Vermögensabgabe als "Akt der Solidarität" gegenüber Krisenverlierern, 12.08.2020.
(15) Rubicon, Die Jahrhundertrezession. Die Corona-Lockdowns verursachen wahrscheinlich den schlimmsten Wirtschaftsabsturz der Neuzeit, 11.08.2020.
(16) NWZ-Online, Ministerium kritisiert Beschluss, 21.11.2015 (17) NWZ, Kommentar MENSING, Kräftiger Schluck, 2015.
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