Außerodentlich bedeutsame Entscheidungen verlangen Besonnenheit. so wäre es besonnener gewesen, zumindest eine Zweidrittelmehrheit für das aktuelle Votum vorauszusetzen. Zumindest in Kommunalverfassungen sind Abstimmungen so geregelt, dass auch höchst umstrittene Ergebnisse höchstmögliche Stabilität garantieren. Über den Sinn und Zweck einer zweidrittel Mehrheitsentscheidung sollte jeder Politiker bescheid wissen. Doch der befangenen SPD-Parteiführung geht es ausschließlich um das JA und nicht um das NEIN zur GroKo. Mit einer Zweidrittelmehrheit könnten sie ihre selbst zugebilligten Ministerposten niemals erreichen. Der blinde Ehrgeiz scheint nur zu bestätigen, dass politische Posten von außerordentlichem Interesse sind. Nunmehr treten die feudalen Strukturen innerhalb der angeblichen Parteidemokratie öffentlich zutage.
Bei diesem dramatischen Trauerspiel mit dem Titel “Wir sind die Demokratie, die nicht sterben darf” scheinen die Jusos als Gegenspieler der GroKo in einer starken Position. Ihre Stärke liegt allerdings eher in der rhetorisch ausgefeilten Kritik, die namentlich durch den Juso-Chef Kevin Kühnert zur Geltung kommt. Doch leider ist ausschließlich Kritik das Aushängeschild. Obwohl die Jusos eine programmatische und personelle Erneuerung fordern, ist nicht klar, in welche Richtung es gehen soll. Inhaltlich werden nur singuläre Details genannt, die das „große ganze“ nicht erkennen lassen. So sehen sie den Begriff der politischen „Mitte“ immer noch als Sinnbild des humanistischen Politikbildes, welches nuanciert eine linke und rechte Seite zu bieten hätte.
Dass die politische „Mitte“ inzwischen zum Neusprech gehört, welches auf Globalisierung, Finanzkapitalismus und Marktkonformismus abzielt, und es in diesem Bedeutungszusammenhang kein Zufall ist, dem Synonym „Mutti“ zu entsprechen, scheinen selbst die Jusos noch nicht bemerkt zu haben. Es genügt also nicht das Mantra, sich wortgewaltig von der Agenda 2010 lossagen zu wollen. Vielmehr sind Auffassungsgabe, Geschichts- und Politikverständnis sowie eine gehörige Portion Mut weitere Voraussetzungen, damit der Erfolg einer demokratischen Erneuerung wenigstens ansatzweise garantiert ist.
Für die SPD-Parteiführung allerdings stirbt die Hoffnung zuletzt. Das scheinbar alternativlose JA zur GroKo und das damit verbundene “Mutti-Programm” müssen unbedingt durchgeboxt werden. Mit welchen Mitteln auch immer. Mittlerweile dürfte klar sein, dass das Soziale nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. So taugt das soziale Aushängeschild nur noch als Beruhigungspille, um wenigsten die Mehrheit für “Mutti” zu retten. Hierzu ist sich die SPD-Führung nicht zu schade.
Wer eigentlich zählt die Stimmen des SPD-Mitgliedervotums? Von einer notariellen Auszählung war bisher nichts zu hören. Aber davon abgesehen: Sollte es zu einem JA kommen, wird die zukünftige SPD-Fraktion in Regierungsverantwortung gehörig unter Zugzwang stehen. Schließlich will die SPD ihr Image aufpolieren und durchsetzungsstark und überzeugend wirken. Vielleicht durch fein dosierte Nadelstiche, durch Provokationen oder durch die allzu bekannte Undiszipliniertheit einer Andrea Nahles? Die Öffentlichkeit würde derartige „Ausfälle“ wohl kaum für Gut heißen.
Ob besonders die Union die sich anbahnende Disziplinlosigkeit in der Koalition tolerieren wird, darf bezweifelt werden. Sie könnte sich herausgefordert fühlen und ihre bisher äußere Diszipliniertheit im Umgang mit Streitfragen als unschlagbaren Gegenpol unter Beweis stellen. Die SPD würde verlieren und zur Bedeutungslosigkeit herabgestuft. Damit wäre eine GroKo auf kurz oder lang zum Scheitern verurteilt.
Mit einem möglichen JA ließe sich der Abwärtstrend der SPD erst recht nicht stoppen. Auch deshalb, weil die Aufspaltung der SPD weiter voranschreiten wird und die ebenfalls auf lokaler Ebene bekannte Undiszipliniertheit weiterhin ein auffälliges Markenzeichen der SPD bleibt. Verantwortung, Vernunft und Vertrauen sehen anders aus.
Die GroKo könnte dieser Partei noch als gehöriges Desaster über beide Ohren wachsen. Mit einem möglichen JA zur GroKo wären die Probleme der SPD nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Die SPD hat nicht begriffen, dass sie selbst ihr größter Feind ist. Denn schon lange arbeitet sie gegen ihr eignes Klientel, welches nur noch als Stimmvieh für “Mutti” verwertbar scheint. Zudem folgt die nächste Bundestagswahl so oder so! Dann auch sollte das bittere Ende nicht mehr fern sein.
.
|