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Leiste-H-01

 

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Landtagswahl der Worthülsen

 

Bildung: Stiefkind der Politik

 

Education 4.0

 

HFB 22-10-02

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Wer heutzutage die Pressemitteilungen über die Öffentlichen Informationsveranstaltungen der Landtagskandidat*innen genau verfolgt, der wird feststellen, dass dort Bildung wenig bis gar nicht thematisiert wird. Wenn doch, so hört man - wie auch zu anderen Themenbereichen - nur Worthülsen, denen weder Erläuterungen noch Begründungen folgen. Sieht man in die Parteiprogramme, so reduziert sich das Bildungsprogramm auf nur drei Punkte. Das sind erstens “Bezahlung der Lehrer*innen der Sekundarstufe I nach A 13, zweitens Inklusion so wie drittens Digitalisierung, wobei letztere als Ultima Ratio betrachtet und zu unglaublich neuen Sphären führen wird.

 

 

Es geht also nicht mehr wie in früheren Jahren um Unterrichtsinhalte oder Schulformen. Es gibt keine heißen Diskussionen mehr zwischen den Parteien. Alles ist gleich und wenn man auch hier von einem Einheitsbrei spricht, so ist das zutreffender als in den Jahren zuvor. Bereits zu Anfang der Koalition zwischen CDU und SPD hatte der Beschluss zum Schulfrieden in Niedersachsen gegriffen und der stets anregende Bildungsdiskurs war zum ansoluten Stillstand gekommen. (01) Nun ist Landtagswahlkampf angesagt, wobei es nicht so recht gelingen will, das Versäumte nachzuholen. Auf dem Gebiet Bildung wurde zu viel verschlafen. Auch wenn zuletzt die Corona-Maßnahmen den Handlungsrahmen bestimmt haben.

Somit handelt es bei all den Diskussionen zwischen den Politikern der verschiedenen Parteien und den Landtagskandidat*innen in der Regel um Versprechungen ins Blaue. Garniert von Worthülsen ohne inhaltliche Substanz. Vor allem deswegen, weil die Protagonisten mit dem Thema Bildung hoffnungslos überfordert sind. Fachliche Hinweise aus dem Schulalltag haben keine inhaltliche Bedeutung für sie, denn die Politik weiß, dass alles nur eine Geldfrage ist. Die Stiefmutter im Geiste formiert sich bereits vor den Wahlen. Danach wird gestrichen, was möglich ist, da der politische Haushaltsplan angeblich nichts anders zulässt. Nach der Wahl im Oktober 2022 wird Bildung ihr Dasein weiterhin als Stiefkind der Politik fristen müssen. Somit gilt fortgesetzt das farblose Prinzip der betriebsinternen Erlasse, Rundverfügungen und Verordnungen, deren Folgen der Öffentlichkeit verborgen bleiben.

Wer die Situation an allgemeinbildend Schulen unter die Lupe nimmt, wird schnell erkennen, dass die Klassen zu groß sind, viele Kinder und Jugendliche in gewissen Schulformen total überfordert werden oder dass nicht wenige Lehrer*innen an die Grenzen ihres engagierten Einsatzes stoßen. Der Grund ist darin zu finden, dass das System Schule entweder zum Bürokratiemonster oder zum demokratischen Pseudosystem mutiert ist, wobei außenstehende Kräfte genau das bestimmen (wollen), was eigentlich dem pädagogisch verunsicherten Personal vorbehalten sein sollte.

Dass hierbei die z.T. überforderten Schulleiter*innen diesem Dammbruch nicht standhalten, sei geschenkt. Fakt ist aber, dass den vielen engagierten Mitarbeitern der Schulen das Berufsleben nicht leichter gemacht wird. So werden die einhergehenden Verschleißerscheinungen allenfalls auf ihrem Höhepunkt sichtbar. Nämlich dann, wenn das  Bornout-Syndrom mit voller Wucht zuschlägt und die jeweilige - zuvor äußerst engagierte - Lehrkraft für Wochen oder Monate ausfällt. (02)

Bis dahin allerdings ist es ein langer Weg, unter dem auch die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen zumeist  unbemerkt leiden. Denn Hilfen gibt es für diese Kolleg*innen so gut wie keine. Weder von der in vielen Fällen politisch eingenordeten Schulleitung, weder von den oft obrigkeitshörigen Personalräten noch von den weisungsgebundenen Schulpsychologen, deren Stellen in den vergangenen Jahren arg dezimiert wurden. Letzteres aus Gründen des Finanzhaushaltes nach dem Muster der sakrosankten „Schwarzen Null“ in der politisch hochgelobten Bildungsrepublik Deutschland.

Inzwischen hat der ehemals attraktive Beruf des Lehramts an allgemeinbildenden Schulen seinen Tiefpunkt erreicht. Gefördert von Kultusminister*innen, die alles andere können als Schule wie auch in jedem anderen fachlichen Schwerpunkt der Politik. Meinung schlägt Wissen. Wachsend die Zahl der Politiker*innen, die nicht einmal eine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Unfähig wie die Kandidat*innen, die sich nun sich für den niedersächsischen Landtag bewerbenden, ohne die aktuellen Herausforderungen der Zeit im Zeichen der Fraktionszwänge zu erkennen, um darauf angemessen reagieren zu können. Nur so ist es zu verstehen, dass sich politische Bildungsprogramme vorwiegend auf Randthemen und nicht auf Inhalte beziehen. Die zusätzliche Arbeit überlässt man dann gerne dem pädagogisch überlastenden Personal, ohne den zunehmenden Personalverschleiß bei den immer neu mutierenden ideologischen Boostern und den daraus resultierenden Vorgaben durch die Politik als zerstörerische Ursachen zu erkennen. (03)

Wer vor vielen den Lehrberuf mit all seinen Idealen gewählt hat, findet sich nun in einer anderen Welt wieder. Somit bleibt der Nachwuchs der Lehrer*innen zunehmend aus. Denn auch sie haben verstanden, dass sie nach vielen Dienstjahren im Bereich Schule in einer Welt ankommen, von der sie heute noch wissen, wie diese aussehen wird. All die damit verbundenen Missstände - ob die aktuellen oder die zu erwartenden -haben sich inzwischen herumgesprochen und tragen zu nachhaltigen Verunsicherung im Berufszweig Lehrer*in bei.

Diejenigen, denen der Beruf dennoch zusagt, werden bereits zu Anfang enttäuscht. Nämlich schon dann, wenn sie als „Feuerwehrlehrkräfte“ eingesetzt werden und ihre Gehaltszahlungen pünktlich zu Beginn der Ferien eingestellt werden, um danach wieder bezahlt zu werden bis zum Ende der Befristung. Und wenn sie dann eine unbefristete Stelle angeboten bekommen, werden sie diese auf Basis der Teilzeitarbeit fortführen. Denn sie haben begriffen, dass Schule nicht nur Unterricht bedeutet, sondern Vorbereitung und Nachbereitung, verwässert mit einem unermesslichen Bürokratiemonster, wobei Termine wie Dienstbesprechungen, Fach-, Zeugnis-, Klassen- oder Disziplinarkonferenzen und die vielen renitenten Elterngespräche noch gar nicht mit berücksichtigt sind.

 

Bezahlung nach A 13

In Deutschland fehlen zunehmend Lehrer*innen. Das ist allzu bekannt. Die Zahl ist dramatisch. Nunmehr werden politische Anreize gesetzt, denen bereits inflationärer Charakter angehängt wird. Vor der Wahl erscheinen sie gehäuft als als Wahlversprechen wie auch als Absichtserklärungen, von denen man bereits jetzt weiß, dass sie nach der Wahl im Sande verlaufen werden. Also viel Blaues vom Himmel. (04)  Nunmehr konkretisierte sich das, was alle Parteien populistisch herausposaunen: Die Grundschullehrer*innen und Lehrer*innen der Sekundarstufe I sollen die Gehaltsklasse A 13 erhalten. (05)  Das übrigens ist in vielen anderen Bundesländern bereits umgesetzt. Die Bezahlung A 13 entsprich der des höheren Dienstes, wobei die Sackgasse A 12, nach der es ohne Weiterbildung keine weiteren Aufstiegschancen gibt, für die  Grundschullehrer*innen nominell abzuschaffen gilt. (06)  Waren die Grundschulpädagogen auch im Amt der Schulleitung mit A 12 plus Z (Zulage) bedient worden, so könnten sie demnächst gleich liegen z.B. mit den Gymnasiallehrer*innen, deren Anfangsgehalt bisher um eine Stufenhöher ausfiel als die der Grundschulleiter*innen, die rund um die Uhr arbeiten müssen bei stark verkürzten Ferienzeiten.

Aber halt Vorsicht: Bei A 13 muss es sich nicht unbedingt um gleiche Bezahlung handeln. Es gibt einen Gestaltungsrahmen nicht nur über die Dienstaltersstufen, (07) sondern auch bezüglich der Unterrichtsverpflichtung. Haben die Grundschullehrer*innen  im Fulltimejob z.B. ca. 28 Unterrichtsstunden zu leisten, sind es bei Gymnasiallehrer*innen 23,5 Unterrichtsstunden. Darüber hinaus könnte die nun angekündigte bessere Bezahlung für die Lehrer*innen in Primar- und Sekundarbereich I zur weiteren Zwietracht zwischen ihnen und Gymnasium ausarten. Denn wer angeblich bisher mehr arbeiten musste, dürfte den Eliten bereits jetzt klar sein. Abgesehen davon, wer Recht hat, war das Verhältnis zwischen den einzelnen Schulformen bisher stets angespannt, wobei der eine auf den anderen herabblickt. 

Wenn nun die Höherbezahlung im Primar- und Sekundarbereich I mit einem Hochschulstudium, und nicht mit einem Fachhochschulstudium, begründet wird, so muss sich fragen, wie das bereits etablierte Personal in diesem Bereich demnächst bezahlt werden soll. Denn die haben nach der alten Studienordnung ihr erstes Staatsexamen erworben. 

Die Landtagskandidat*innen nach diesem Problem zu fragen, lohnt sich nicht. Denn die mögliche Antwort wird sich wie so oft auf Glaubensbekenntnisse berufen oder sie versprechen mit aller Blauäugigkeit, sich für „Lohn für gleiche Arbeit“ einzusetzen. Wie abgedroschen eine solche politische Floskel ist, zeigen die allgemeinen Ergebnisse der gewerkschaftlichen Verhandlungen bezüglich der allgemeinen Lohnentwicklung, die bis heute die allseits starken Unterschiede noch immer nicht ausgebügelt haben.

Und mit Nachmittags für Lehrkräfte frei, so wie es ein Kommentar der Münsterländischen Tageszeitung suggeriert, ist nicht. (08) Wenn bereits die Presse so einen Schwachsinn verkündet, dann sind die Weichen derart gestellt, dass für fortschrittliche Bildung Hopfen und Malz verloren sind. Der Beamtenstatus hat zwar erhebliche Vorteile, z.B. in Form des Altersruhegehalts, aber Lehr*innen haben nicht alle den diesen Status, sondern viele davon sind Angestellte des öffentlichen Dienstes. Das wiederum unterschlägt der Autor dieses schrägen Kommentars.

Dass nun gerade im Wahlkampf mehr Lehrerstellen gefordert werden, ist nichts Neues. Der Personalmangel besteht bekanntermaßen schon seit vielen Jahren, wobei es die Politik verschlafen hat, dagegenzuhalten. „Wo sind all die Lehrer hin? (09) Aber irgendwie muss der Wahlkampf ja gestaltet werden. Und wenn die nächsten fünf Jahre zu Thema Lehrermangel wiederum nichts geschieht, dann bleibt das politische Thema “Lehrer*innen-Mangel” erhalten. Zumindest was das Rededuell um den Posten des niedersächsischen Ministerpräsidenten betrifft, wäre das eine Katastrophe in neuer Inszenierung. (10) 

Fakt ist jedoch, dass es immer mehr Lehrpersonal gibt, das nicht ausgebildet ist nach dem Motto, „Lehrer kann jeder“.  So wird z.B. in Berlin bereits überlegt, ob nicht auch Eltern als „Lernhelfer“ eingesetzt werden können. (11) Niedersachen ist von dier Idee nicht ganz so weit entfernt. Auswege aus der Personalkrise sucht man u.a. auch durch den Einsatz von noch mehr Quereinsteigern. Das sind Personen, die einen Beruf gelernt haben, diesen ggf. bereits Jahre ausüben und nun überlegen, sich als Lehrerkraft umschulen zu lassen. Dieser Weg wird bereits seit Jahren beschritten, wobei es den Quereinsteigern oft nicht leicht gemacht wurde, in der Schule Fuß zu fassen. Zu groß ist und war die Skepsis der etablierten Elite an den Schulen.

Ob sich Pensionäre für den Schuldienst wieder in der notwendigen Zahl reaktivieren lassen, bleibt zweifelhaft. Anfrage seitens der Schulbehörde verliefen im Sand. Wie auch die befristeten Anstellungen von Student*innen würde dieser politisch “geniale Einfall” als Provisorium zu gelten haben. (12) Denn in der Politik hat sich ein wichtiges Kriterium etabliert. Es heißt: „Einmal Provisorium, immer Provisorium“. Es bleibt also noch viel Luft in der Pipeline, wenn man die warmen Worte der politisch Verantwortlichen hört. Hierbei handelt es sich - wie die Erfahrungen zeigen - ausschließlich um heiße Luft. Wenn die schwarz-roten Scheinriesen wieder einmal ihren brillanten Ideen zur Bildungspolitik hinterherlaufen, so ist das symptomatisch. Doch mit der Zurschaustellung eines Defizits ist noch lange keine Sozial- oder Bildungspolitik umgesetzt. (13) 

Im Bildungsbereich muss zwingend eine Lösung des Personalproblems her. Auch dann, wenn wieder ausreichend ausgebildetes Personal bereitstünde. Denn das Prinzip der freien Marktwirtschaft verlangt kostengünstigere Alternativen, an denen bereits heute arbeitet wird. Und wiederum ist es die Politik, die den Weg dazu bereitet. Gedankenlos und lautstark. Das mit Hilfe der ständig wiederholten Worthülse „Digitalisierung“. Weitere Ausführungen zu diesem brisanten Thema sind hier weiter unten zu finden.

 

Inklusion

Auch der Begriff „Inklusion“ ist mittlerweile zur leeren Worthülse verkommen. Anders kann man es nicht ausdrücken. Aber mit dieser Hülse lebt es sich leichter. Man kann öffentliche Wahlveranstaltungen  und anschließende Pressebericht bestens damit füllen. Erklären muss man nichts weiter. (14) Auch nicht, dass Inklusion an allgemeinbildenden Schulen so gut wie gescheitert ist, (15) wobei nun wieder die totgesagten Förderschulen übernehmen sollen. Dennoch hält die niedersächsische Politik am Beschluss zur endgültigen Schließung der Förderschulen bis zum Jahr 2028 fest. Evtl. nur bis zum Anfang der kommenden Legislaturperiode, um dann die aktuell gültige Rechtslage zu kippen. Bisher aber führt die aktuelle Gesetzeslage punktuell zu viel Verärgerung bei den betroffenen Eltern. (16)  Und wie reagiert die Politik? Sie reagiert ohne Einsicht, ohne Evaluation, ohne Rückbesinnung auf das wirklich Machbare. Aber die Zeit wird es wohl wieder richten müssen. So wie das damals zugunsten von G 8 in die Tonne gekloppte und inzwischen  wieder eingeführte Abitur nach 9 Schuljahren (G 9), so wird das Förderschulprinzip irgendwann wieder wertgeschätzt. Das aber, ohne die totale politische Fehleinschätzung zuzugeben. 

Für die allgemeinbildende Schule muss bezüglich der Inklusion ebenfalls ein erhöhter Förderbedarf geltend gemacht werden. Mehr als jetzt üblich! Das ist nicht damit getan, dass die Klassen weiterhin um die 30 Schüler*innen behalten sollen. Die besondere pädagogische Zuwendung verlangt deutlich kleinere Gruppen mit noch mehr Lehr- und Betreuungspersonal, was je nach Bedarf deutlich unterschiedlich ausfallen dürfte. So flexibel waren allgemeinbildenden Schulen niemals und so musste das Experiment (!) Inklusion dort kläglich - still und leise - scheitern. Zuletzt auch deswegen, weil der Landeshaushalt nicht die wirklich notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen wollte. Die politischen Prioritäten liegen bekanntlich auf anderen Ebenen, die nicht selten ideologischer Natur sind. Folglich konnte die Inklusion, die in den allgemeinbildenden Schulbereich verlagert wurde, ihr Dasein nur als abgedroschene Worthülse fristen.

Nun jedenfalls  scheint Einsicht eingekehrt zu sein. Geäußert durch das zarte Wiederbelebungsgebaren von Förderschulen durch das Kultusministerium. Und am Ende muss sich jeder fragen, ob man die Politik das - wie vieles andere auch - nicht schon vorher hätte wissen können. Die weiterführende Frage wird dann heißen müssen, wie viele Experimente sind im Bildungswesen noch zu erwarten, die sich anschließend als inhaltsleere Worthülsen entlarven lassen?

 

Digitalisierung

Mit der allgegenwärtigen politischen Worthülse „Digitalisierung“ werden viele Interessierte immer wieder an die Einführung des Taschenrechners vor mehreren Jahrzehnten erinnert. Was den Erfolg dieses Instruments betrifft, so hat es dazu geführt, dass die Schüler*innen häufig jedes  Ergebnis akzeptiert haben, auch wenn Tippfehler das Maß der Dinge bestimmt haben. Das man mit falschen Zahlenergebnissen überleben kann, gibt es nicht. Das aber nur in der Schule, in der die Zensuren zunehmend suggerieren, die Welt sei besser geworden, wobei die deutsche Wirtschaft sich unisono die Arme über den Kopf zusammenschlägt und dem schulischen Bewertungssystem zunehmend misstraut. Denn oh Wunder, nun sind die MINT-Fächer, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, diejenigen, für die sich fast kein beruflich qualifizierter  Nachwuchs mehr finden lässt. Ohne irgendwelche Lehren aus dieser misslungenen Bildungsoffensive zu ziehen, soll das Schulleben nun politisch modernisiert werden. Die neue politische Worthülse heißt demnach „Digitalisierung“.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Taschenrechner und Computer sind eine geniale Erfindung. Sie erleichtern das Leben, sind also willkommene Hilfen, um u.a. viel Zeit zu sparen oder Informationen anschaulicher darstellen zu können. Allgemeinbildender Unterricht jedoch muss sich auf Grundkenntnisse beziehen, die z.B. erklären, wie Grundrechenarten zu händeln sind. Ohne diese Kenntnisse kann es keine Programmierer geben oder auch keine Naturwissenschaftler, die zunächst ihre Hypothesen auf sattelfeste Fundamente stellen müssen, um Ergebnisse, auch wenn sie anschließend computersimuliert sind, nach den Regeln der strengen Logik interpretieren zu können. Wer die grundlegenden Elemente der Mathematik nicht mehr versteht, kann sich in den ihr verwandten Berufen niemals etablieren.

So ist der Wunsch des niedersächsischen  Landesschülerrates nach mehr lebensnahen Unterrichtsinhalten am Ende auch zu verstehen. Nach Meinung dieses Rates sollte das unterrichtet werden, was im Leben und im Beruf das Grundhandwerkszeug darstellt. (17)  Letzteres ist mittlerweile in den Curricula des Bildungswesens verloren gegangen. Die totale Digitalisierung wird hierbei noch einen oben draufsetzen. (18) 

Abgesehen davon sind die weiteren Hürden der Digitalisierung noch gar nicht angedacht. Zumindest wird nicht öffentlich darauf hingewiesen, dass digitale Geräte nach ca. zwei Jahren „Old Fession“ sind und neue hermüssen. Ähnlich wie bei den Smartphones sind dann  für den Schulgebrauch stets Digitalgeräte der neusten Generation anzuschaffen. Welches Finanzvolumen das jeweils in Anspruch nehmen wird, darüber redet keiner. Auch nicht darüber, wer das alles bezahlen soll. Hinzu kommt, dass es bestimmte Lern-Apps geben wird, die nicht wie Schulbücher bisher unter Schüler*innen einfach austauschbar sind. Wer diese Apps bezahlen soll, wurde mit der Worthülse „Digitalisierung“ bisher ebenfalls nicht verraten.

Das eigentliche Ziel der Digitalisierung wurde bisher in keiner Wahlkampfveranstaltung angesprochen. Zuletzt sollen es ausschließlich Lernprogramme sein, die die Schüler* durch raffinierte Algorithmen auf die Spur bringen sollen. (19) Wenn Meinungsvielfalt - wie in diesen Tagen immer wieder festzustellen - kein Bestand mehr hat, sind Lernprogramme mögliche Unterstützer dieser Entwicklung. Computersimulationen bieten stets virtuelle Darstellungen, die mit der realen Welt nicht in Übereinstimmung stehen müssen. Hierin liegt ein gefährliches  Manipulationspotenzial bis hin zur Volksverblödung übelster Art. Wenn schon die etablierten Suchmaschinen des Internets Steuerungsmöglichkeiten schamlos ausnutzen und es ihnen die Sozial Media gleichtun, so wird man das verheerende Potenzial dieser digitalen Mächte durchaus fürchten müssen. 

Doch das alles ist kein Thema beim Gebrauch aller politischen Worthülsen. Hinterfragt wird nichts. So auch die Tatsache, dass Schule möglicherweise deutlich wirtschaftlicher funktionieren könnte. Und das ohne die vielen Lehrer*innen, ohne die sonstigen Bediensteten, ohne die Schulgebäude und deren Einrichtungen im Allgemeinen. Nämlich dann, wenn die Übung Home-Schooling in Corona-Zeiten zum zukünftigen Bildungsstandart erhoben wird. Kein Kind wird jemals mit anderen Kindern unter Anleitung von Lehrer*innen lernen (dürfen).

Der einzige Freund wird HAL, (20) der Computer, sein. Einsam zuhause, ohne die Eltern, die ja  ohnehin ihrem Beruf nachgehen müssen. Die Erfahrungen in der Zeit des Corona-Lockdowns haben gezeigt, dass Kinder und Jugendliche in ihrem Lernumfeld eine vorwiegend reale und keine virtuelle Welt benötigen. (21) Ohne motorische Herausforderungen ist keinen Lernen möglich. Doch diese heute noch gültigen Grundsätze werden zunehmend zugunsten des antipädagogischen Sparmodells einer virtuellen Schulform aufgeweicht. Lernen soll schließlich Spaß machen und keine Freude bereiten. Die Schuldenbremse lässt grüßen!

 

Fazit

Gute Bildung bestimmt die Zukunft unseres Landes. Was gut Bildung ist, war lange Zeit Konsens in Politik und Öffentlichkeit. Sie wurde bestimmt durch das humboldtsche Ideal, welches auf ganzheitliche Prinzip setzt. (22)  Aus diesem Gedanken heraus erwuchs das „allgemeinbildende Schulsystem“, dem thematische Schwerpunksetzungen - wie z.B. Leistungskurse in der gymnasialen Oberstufe - im Grunde fremd sein sollten. Doch die Theorie ist die eine Seite, die Praxis die andere. Somit ist das „allgemeinbildende Schulsystem“ immer bestimmten Diskussionen um seine Auslegung unterworfen. (23) Doch wo waren die Diskussionen der politisch Verantwortlichen in den letzten Jahren in Niedersachens? Offenbar hat der beschlossene Schulfriede zwischen CDU und SPD in Niedersachsen zu einem politischen Bildungsstillstand geführt. Einhergehend mit einem farblosen Kultusminister war die heile Welt angesagt, waren einige nette Worte zu den Schulschließungen in den Monaten der Corona-Maßnahmen zu lesen und zuletzt waren die frohlockende Hinweise zu vernehmen, die Schulen endlich wieder öffnen zu können. Kein Wunder also, dass das niedersächsische Bildungssystem nun die Booster der Worthülsen braucht, um zumindest öffentlich wirksam vor der Wahl am 9. Oktober 2022 wieder in Fahrt zu kommen. Danach darf alles wieder seinen gewohnten Trott behalten.

Das wird passieren, sofern nicht massive Forderungen von der Basis kommen. Von Menschen, die im Bildungssystem direkt arbeiten. Auch die Gewerkschaften sollten sich sputen, mehr Dampf in den Kessel zu bekommen. Zumindest darum zu kämpfen, dass die pädagogischen Erfordernisse endlich greifen. Abgesehen vom fachlichen Know-How sind notwendige Finanzmittel beritzustellen, die die bisherigen in den Schatten stellen. Gerade hier wäre ein „Doppel Wumms“ als durchaus richtiges Signal anzusehen.(24) Doch die Worthülsen-Macher werden wohl nicht im Traum daran denken und dennoch weiter starke Worte predigen. Wie lange will man die Worthülsen denn noch herunterbeten, bis endlich der ersehnte Bildungsruck durchs Land geht?

 

Quellen-SKB