Fast ein halbes Jahrhundert später steht die Partei vor einem akuten Akzeptanzproblem. Eine Führungsriege, die die Partei bis auf aktuell 19% der Wählerstimmen abgewirtschaftet hat, muss gegen innerparteiliche Gegner kämpfen. Die JUSOs bekunden zunehmend ihren Unwillen und stellen sich gegen das Parteiestablishment. Der letzte SPD-Sonderparteitag hat gezeigt, dass der Druck immer heftiger wird. Dass es hierbei um verschiedene Ansichten zur GroKo geht, ist nur Nebensache. Es scheint so zu sein, dass die personelle und programmatische Erneuerung der SPD mittlerweile als überfällig gilt. Mit den Verhandlungen zwischen SPD und Union über die Fortsetzung der GroKo ist der lautstark propagierte Reformwille der Parteispitzen zum Stillstand gekommen. Neue Parteimitglieder sind vor allem jetzt nicht wirklich willkommen. Dennoch ist von vielen Neueintritten die Rede. Die Parallelen zu 1972 sind offensichtlich, nur dass die Sympathiewerte der SPD immer weiter sinken. Das alles gibt dem mittlerweile offenen Streit den nötigen Zunder, um sich demnächst lichterloh zu entfalten.
Verzerrte Reaktion altgedienter Genossen
Hinzu kommt, dass man den Rechten von Neumitgliedern mit aller Macht einen Riegel vorschieben will. Geben die JUSOs doch vor, Neumitglieder nur deshalb anwerben zu wollen, um das angekündigte Mitgliedervotum für sich, gegen die GroKo, entscheiden zu können. Die altgedienten Genossen in Berlin befürchten Schlimmstes und halten dagegen.
Sie sollten sich allerdings fragen, ob ihre Kritik an der aktuellen Mitgliederwerbung klug ist, denn nicht jedem Beitrittsantrag kann pauschal unterstellt werden, nur der Stimme gegen die GroKo zu dienen. Man befürchte eine „Verzerrung“ des Abstimmungsergebnisses, argumentiert die Parteispitze und weist die Vorsitzenden der Ortsvereine an, die Anträge zur Neuaufnahme verzögert zu bearbeiten. Auf diese Weise würden die Antragsteller nicht über die GroKo mit abstimmen können
Verzerrung der Parteistatuten
Dass die Anträge zur Aufnahme von Neumitgliedern auf diese Weise behandelt werden, ist neu. Ob die Parteistatuten diese Möglichkeit überhaupt zulassen, bleibt ebenfalls fraglich. Wer behauptet, Parteibeitritte zum Sammeln von Gegenstimmen seien nicht erlaubt, der sollte zunächst Belege für einen missbräuchlichen Beitritt auf den Tisch legen. Nun wurde vom Generalsekretär der SPD, Lars Klingbeil, eine Frist gesetzt. Neumitglieder dürfen nur über das Für und Wider der GroKo abstimmen, wenn sie der SPD bis zum 6.Februar 2018 offiziell beigetreten sind.
Es bleibt allerdings abzuwarten, ob gegen diese eigenmächtige Anordnung Einspruch seitens der JUSOs erhoben wird. Doch eines ist bereits jetzt sicher: Die Parteistatuten der SPD erweisen sich als wenig belastbar. Sie hätten schon lange einer Revision bedurft. Die angekündigte Fristsetzung von Beitrittsanträgen darf als „Verzerrung“ der bisher gängigen Praxis gelten.
Wer so handelt, muss sich nicht wundern, wenn sich der parteiinterne Streit weiter zuspitzt. Auch deswegen, weil die kommunalen Parteieliten genau das gedankenlos nachplappern, was im Willy-Brandt-Haus als offizielle Meinung ausgegeben wird. Mit dieser Eigenart gießen sie reflexartig Öl ins Feuer. Die Zuspitzung nimmt zu, wenn nicht endlich über den Tellerrand geschaut wird, um die allgegenwärtige Strategie der Verzerrung zu erkennen. Dann würde man schnell merken, dass es eine ganze Menge mehr Handlungs- und Verhaltensmuster gibt, die zumindest hinterfragt werden sollten.
Verzerrungen werden die SPD spalten
Blickt man offenen Auges auf den vergangenen Sonderparteitag der SPD zurück, so sind dort ebenfalls „Verzerrungen“ zu verzeichnen. Es zeugt von „verzerrtem“ Denken, von Realitätsferne, wenn man das Abstimmungsergebnis als klares Votum der Partei ausgibt, wobei nur 56% der Delegierten für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt haben.
Diese „Verzerrung“ wird aber umso kritischer zu betrachten sein, wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Delegierten im direkten Arbeitsverhältnis mit der SPD stehen. Die SPD ist nicht nur politische Partei, sondern auch Arbeitgeber. Das betrifft einen Personenkreis, der stets in der Pflicht steht, öffentlich, für jedermann sichtbar, für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu stimmen. Dass eine geheime Abstimmung anders ausgefallen wäre, liegt auf der Hand.
Erwähnenswert ist ebenfalls, dass kurz nach der Bundestagswahl vom gesamten SPD-Präsidium der Gang in die Opposition beschlossen wurde. Somit wäre die konsequentere und nichtverzerrte Abstimmungsoption das klare Bekenntnis zur Oppositionsrolle gewesen, welches ein Abstimmungs-JA verlangt hätte. Das Bekenntnis zur GroKo wäre dann das Abstimmungs-NEIN gewesen.
Verzerrte Vernunft
Die SPD hat zwar demokratisch abgestimmt, aber das Ergebnis der einfachen Mehrheit ist so knapp, dass der Spaltung der Partei nichts mehr im Wege steht. Das Abstimmungsprinzip der Zweidrittelmehrheit wäre vernünftiger gewesen. Da Vernunft keine Option war, steht die Partei nun vor einer Zerreißprobe. Deutlicher kann sich der zerstörerische Charakter der vielen „Verzerrungen“ nicht zu erkennen geben: Die blanke Panik der alteingesessenen Gallionsfiguren scheint nunmehr alles das in den Abgrund zu reißen, was die Partei noch hätte retten können.
Verzerrung der Informationen
Doch das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Bei der anstehenden SPD-Mitgliederbefragung ist nicht davon auszugehen, dass es mit der Strategie der Verzerrungen vorbei ist. Wie im Jahre 2013 werden den Mitgliedern nur wenige wertneutrale Informationen geboten, um zu bekräftigen, die GroKo sei die unangefochtene Alternative für Deutschland. Das um so mehr, weil auf Union und SPD ein Bundeswahlkampf in Millionenhöhe zukäme, den sie sich so kurz hintereinander nicht noch einmal leisten könnten. Zudem wäre das politische Ende der jetzigen Galionsfiguren besiegelt. Vor diesem Hintergrund wird die Formel „Verantwortung für Deutschland ohne GroKo nicht möglich“ zur Farce.
Verzerrte Schlüsselrolle des Bundespräsidenten
Verantwortung wird durch das Grundgesetz und nicht durch Parteiinteressen definiert. Bis heute ist es unverständlich, dass Bundespräsident, Frank Walter Steinmeier (ehemals SPD), Angela Merkel erst gar nicht zur Wahl der Kanzlerin vorgeschlagen hatte. Nach Artikel 63 des Grundgesetzes stand ihm diese Möglichkeit zu. Somit hätte er verantwortliches Handeln zeigen können. Merkel wäre im ersten Wahlgang zwar durchgefallen, aber anschließend hätte die einfache Mehrheit gegriffen. Danach wäre sie nach Satz 4 des Artikels vom Bundespräsidenten beauftragt worden, die Regierung zu bilden. Doch in dieser Hinsicht hatte das Grundgesetz wohl eine beabsichtigte Pause. So waren sich die Politeliten der Union und SPD, samt Bundespräsident, nicht zu schade, sogleich das verzerrte GroKo-Ideal in den Raum zu stellen, welches in der Öffentlichkeit als alternativlos zu gelten hat.
Verzerrte Schuldzuweisungen
Somit darf es als erwiesen gelten, dass bei dem Tamtam um die GroKo getrickst und getäuscht wird, wo es nur geht. Die „Verzerrungen“ könnten nicht deutlicher ausfallen. Und wie reagiert man auf kommunaler Ebene darauf? „Verzerrungen“ unterstellt man reflexartig den Jusos. Hierbei blenden die kommunalen SPD-Eliten weitere „Verzerrungen“ völlig aus. Sie sehen diese weder bei der Befristung von Beitrittsanträgen, noch beim hochproblematischen Abstimmungsmodus so wie bei der suggestiven Abstimmungsformulierung auf dem Sonderparteitag. Eine kritische Reflexion der SPD-Basis scheint es nicht zu geben. Ganz so wie die Parteispitze es von ihnen erwartet.
Verzerrung hebelt Demokratie aus
Die Strategie der politischen „Verzerrung“ ist ein gängiges Mittel. Von langer Hand vorbereitet. Die Politik ohne Volk meint inzwischen, mit einem ständig „verzerrten“ Blick aufs Ganze überzeugen zu können. Das Gegenteil ist der Fall. So steuert nicht nur Martin Schulz, sondern die gesamte SPD, auf den Abgrund zu, in den sie in naher Zukunft stürzen wird. Selbstbewusst und unbelehrbar. Dass die demokratischen Errungenschaften mehr und mehr auf der Strecke bleiben, scheint nicht weiter zu interessieren.
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