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Leiharbeit kosmetisch verschärft

 

Billiglohnland Deutschland

 

In die Tonne damit

 

HFB-19-02-05

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Boulevard-Journalismus pur. Kurz, bündig und markant. Die Kämpfer des Erzengels Gabriel gegen die Freunde des Teufels. Einseitig dargestellt. Gar nicht recherchiert. Ein Angriff auf Stadtverwaltung und Bürgermeister. Geblasen mit Pauken und Trompeten. Im Angesichte der Gerechtigkeit. Denn was zählt, ist der Kick. Ausgepresst die Informanten, ausgebuht die Bösewichte und ausgetrickst die Leser. Ein überregionaler Artikel, für den sich der verantwortliche Cloppenburger Lokalredakteur in der Rolle des stadtbekannten Pressesprechers der Fraktionen von SPD und B 90/ DIE GRÜNEN wie geboren fühlt. So zumindest der Eindruck, den die fortlaufende Berichterstattung hinterlässt.

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NWZ, 02.02.2019

Ausgewogenheit scheint ein Fremdwort zu sein. Denn mit der Gefechtssalve von massiven Anschuldigungen ist der gesamte Boulevard-Artikel am eigentlichen Problem vorbei KREiert. Mag es stimmen oder nicht, dass der Umzug der Werksarbeiter nach Ahlhorn zukünftig ein Leben hinter Stacheldraht mit sich bringe und somit die Unfreiheit festgeschrieben sei, der angebliche Fraktionschef des Kreistages, der aber keinesfalls Kolde heißt, vor Kurzem wirklich die katastrophalen Zustände in den Unterkünften der Werksvertragsarbeiter gesehen habe, der Feuerlöscher seit bereits 18 Jahre abgelaufen und die Elektroinstallation selbst gebastelt sei, das NDR-Fernsehteam bei der Begehung nicht drehen durfte oder das Bündnis 90/ Die Grünen der Cloppenburger Stadtratsfraktion das Drehverbot verurteilt habe. Bedeutender bleiben stets die Ursachen. Und das journalistische Lehrstück zeigt nun eindrucksvoll, wie man diese mit einer gehörige Salve an Nebelkerzen verschleiern kann.

Zunächst sollte man sich klar machen, dass es nur vordergründig um die Wohnverhältnisse von ausländischen Menschen geht. Hierbei handelt es sich um  rumänische Werksvertragsarbeiter, die in dem ehemaligen und augenscheinlich heruntergekommenen Hotelgebäude „an der Löninger Straße 37 in Cloppenburg“ auf engsten Raum von ihrem Personaldienstanbieter (Verleiher) eine Wohnunterkunft zugewiesen bekommen haben. Wohl auch deshalb, weil den Lohnabhängigen sowohl explizite Sprachkenntnisse als auch ausreichend finanzielle Grundlagen fehlen.

Der Verleiher ist auch derjenige, der die Werksvertragsarbeiter entlohnt und das formale Weisungsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer innehat. Die Unterbringung der Werksarbeiter vermittelt dann noch ein Immobilienbüro. Ob im Auftrag der einzelnen Werkvertragsarbeiter oder des Personaldienstleister bleibt unklar. Interessant ist aber, wer für die Vermittlungsgebühren aufzukommen hat. Wahrscheinlich sind es die prekär bezahlten Werksvertragsarbeiter.

Natürlich sollten die Wohnverhältnisse den behördlichen Vorgaben genügen. Doch die beruhen auf Kriterien, die neben den baulichen Qualitätsstandards vor allem auch die Hygiene betreffen. Mit dem Auftreten einzelner Tuberkulosefälle ist letzteres von außerordentlicher Bedeutung. Denn gerade Werksvertragsarbeiter aus Ländern mit schlechter gesundheitlicher Versorgung tragen ein erhöhtes Tuberkuloserisiko mit sich. In engen von Unterkünften ist die Ansteckungsgefahr außerordentlich hoch. Besonders gefährdet sind Personen wie Mangelernährte, chronisch Kranke (z.B. Diabetiker) oder auch Raucher und Alkoholiker.

Bei allen Problemen, die mit der „Werksvertragsunterkunft an der Löninger Straße 37“ in Erscheinung getreten sind, sollte zur Kenntnis genommen werden, dass die bisher dort lebenden Menschen aus einem Land kommen, für die das Arbeitnehmerfreizügigkeitsgesetz der Europäischen Union erst seit 2014 gilt. Rumänien ist ein Land, welches wirtschaftlich weit abgeschlagen hinter Deutschland steht. Die Menschen dort verdienen durchschnittlich ca. 750 Euro pro Monat, wobei viele der arbeitenden Bürger erst gar nicht den Durchschnittslohn erreichen. Das aufgrund der vielen Neureichen in dem wirtschaftlich abgehängten Land, die die EU-Erweiterung dort eingeschwemmt hat.

So bleibt auch der Wohnraum für viele der Menschen in Rumänien ein behelfsmäßiger. Oft mit improvisierter Elektroinstallation und ohne Feuerlöscher! Dass man in Deutschland andere Verhältnisse voraussetzt, ist den Zuwanderern nicht unbedingt klar. Aber mit welchen Augen ein SPD-Mitglied diese rumänische Norm beurteilt, nur davon wird in der hiesigen Presse ausführlich berichtet. Weitere Hintergrundinformationen sind nicht vorhanden.

Bei aller berechtigten Kritik an desolaten Zuständen sollte doch mal Tacheles darüber geredet werden, dass Herr Kolde ein Vertreter der Partei ist, die aus Deutschland ein Billiglohnland gemacht hat. Das waren doch Rot und Grün zusammen, unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder (SPD). Letzterer war es auch, der das besondere Befristungsverbot, das Synchronisationsverbot, das Wiedereinstellungsverbot und die Beschränkung der Überlassungsdauer auf höchstens zwei Jahre aufgehoben hat. Das Prekariat konnte von nun an dauerhaft installiert werden. Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG),Arbeitnehmerüberlassung und Freizügigkeitsgesetz/EU wurden anschließend in Kombination aufeinander abgestimmt, so dass sich die Zustände, die heute kritisiert werden, überhaupt etablieren konnten. Was in Dänemark nicht möglich war, konnte in Deutschland nun zur Normalität werden. Wer weiß, warum gerade dänische Schlachtbetriebe in Deutschland operieren und nicht im Heimatland, der hat es verstanden.

Zuletzt wurde die Leiharbeit zwar kosmetisch verschärft, aber der Ausweg der Werksvertragsarbeit geschaffen. Nun ist die Leiharbeit stark zurückgegangen und die Werksarbeit erlebt eine einmalige Blüte Eine Blendgranate nach dem politischen Erfolgsrezept „Linke Tasche, rechte Tasche“.

Nicht zuletzt geht es auch mit  dem allgemeinen Lohnniveau in Deutschland immer weiter bergab. Warum sollte die Zahl der Mehrfachbeschäftigten sonst steigen? In 15 Jahre von 1,4 Millionen auf rund 3,4 Millionen. Nicht umsonst kann sich Deutschland in der Liga der Megaexporteure messen und um sich herum alles plattmachen. Während die Kommunen mit den Megagewerbesteuereinnahmen schwadronieren, haben andere Länder das Nachsehen. Rumänien z.B. wird durch eine solche Exportpolitik nicht reicher. Durch Neuverschuldung wird es ärmer. Auch an Arbeitskräften, die nach u.a. Deutschland auswandern.

Plattgemacht ebenfalls die zukünftigen Rentner. Denn ihre Alterbzüge richten sich nach ihrer Erwerbsbiografie. Die Formel heißt: Geringe Löhne, geringe Renten. Und dem Sozialminister Heil (SPD) fällt nichts Besseres ein, als Steuergelder „mit der Gießkanne“ auf die Renten umzuverteilen. Wieder nach dem Erfolgsrezept: „Linke Tasche, rechte Tasche“. Anteilig dabei die Begünstigten mit Hilfe ihrer eigenen Steuerlast! Dass der Schuss für Heil und seine Parteikollegen demnächst unter die 10%-Linie zielt, ahnt er anscheinend immer noch nicht.

Natürlich möchte Herr Kolde die politische Verantwortung für die desolate Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik hierzulande schon gar nicht übernehmen. Er tut weiterhin so, als seien ihm die Zusammenhänge überhaupt nicht bekannt. Unbekannt scheint ihm ebenfalls zu sein, dass das die GroKo in Berlin die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nicht gefährden möchte. Im Koalitionsvertrag, die die kritischen Grünen fast unterschrieben hätten, sind genau die Dinge vereinbart, deren Symptome Herr Kolde als Vertreter einer der Koalitionsparteien nun kritisiert und gar nicht erst auf den Punkt bringt. Das Prekariat samt seiner widrigen Umstände, die Wettbewerbsvorteile garantieren! Was also den angesprochenen Fragenkatalog betrifft, wäre es sinnvoll, diesen an die Adresse der verantwortlichen in Berlin zu schicken. Alles andere heizt nur das altbekannte Polit-Tamtam auf lokaler Ebene wieder an und wäre wenig effektiv.

Kolde hätte von der Arbeitsmarktpolitik einen Neuanfang fordern müssen, damit die Branchen endlich die Verantwortung für die eigenen Leute übernehmen. Den „Sklaventreibern [weiter] Luft und Zeit“ zu verschaffen, „ihr menschenverachtendes Geschäft unbehelligt weiter zu betreiben“ (Peter Kossen: In MEV, 18.08.2018), gehört abgestellt. Vielleicht weiß Herr Kolde auch gar nicht, für welche Partei er spricht, in der er auch noch Mitglied ist. So zu tun, als sein Gerechtigkeit das Ziel, ist also naiv. Er hätte konkret die Abschaffung der Werksarbeit fordern sollen. Auf diese grundlegende Idee aber kommt er nicht einmal. Eine solche Naivität kann nicht überboten werden, wohl aber im Verborgenen bleiben. Z.B. dank des aufgeblasenen Artikels, der in die Tonne gehört.

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